Kapitel 2

Die Reise beginnt

El’Khar stand vor mir und musterte mich aufmerksam.
"Ja, Du sollst erfahren, was geschehen ist ..." Es sah fast so aus, als ob er sich selbst Mut zusprechen müsse. Mit einer Handbewegung befahl er der Garde, sich zurückzuziehen. Der Hauptmann zögerte zwar kurz, hob aber dann achselzuckend seine Schultern und verließ mit seinen Männern den Ratssaal.
"Thon’Dir, unsere Welt stirbt. Die Energiereserven sind nahezu erschöpft" Seine Worte standen unheilschwer im Raum. "Seit Jahrzehnten wissen wir von diesen Problemen und seit einer genau so langen Zeit entsenden wir Boten, um einen neuen Lebensraum für uns zu suchen." Er schwieg einen Moment bis er leise hinzufügte "doch nie kam einer von ihnen zurück".Er blickte mich lange an.
"Was weißt Du über die Geschichte unsers Volkes?"
Erstaunt schaute ich ihn an.
"Nun, ich weiss, das vor vielen Jahren ein großer Krieg gegen die Mol’ars herrschte, der uns fast vernichtete. Nur unter großen Opfern gelang es unserem Volk, den Invasoren die Strin zu bieten und den glorreichen Sieg zu erringen."
Unbewusst hatte ich die Lehrsätze unserer Gemeinschaft zitiert, Weisheiten, die uns in den langen Jahren unseres Lernens eingetrichtert wurden.
Der Rat schüttelte langsam den Kopf.
"So steht es geschrieben, mein junger Freund, aber es ist nur ein Bruchteil der Wahrheit. In Wirklichkeit unterlagen wir in diesem grausamen Kampf, so das unserem Volk nur der Rückzug ins Planeteninnere blieb. Das alles hier ..." er wies durch die Fenster auf unsere Stadt, "das alles ist nur eine Illusion."
Ungläubig blickte ich ihn an.
„Eine Illusion? Aber .. wie ist das möglich?"
Ich konnte es nicht glauben. Ganz deutlich sah ich doch den Himmel, die Berge am Horizont, all die Menschen ...
"Und doch ist es so, mein Freund. Vor vielen Hundert Jahren waren wir ein hochtechnisiertes Volk. Es gelang uns, allen Bewohnern hier eine perfekte Illusion vorzugaukeln. Was Du siehst, Thon’dir, ist eine Projektion. In Wahrheit befinden wir uns in einer großen Höhle. Der Himmel, der Horizont ... alles nur eine Täuschung"
Protestierend sprangen die anderen Räte auf.
"Das ist Gotteslästerung...."
"Wie kannst Du es wagen, ..."
"Er muss gehen...."
"...keine andere Wahl..."
"...Versündigst Dich an ..."
Sie redeten alle durcheinander. Erbost schrien sie El’Khar an und schienen mich ganz vergessen zu haben . Wüste Beschimpfungen und Drohungen hallten durch den Raum. Zu allem Überfluss stürmte auch noch der Hauptmann mit seinen Soldaten herein, wohl aufgeschreckt durch den Lärm. Drohend bauten sie sich vor mir auf, die Spitzen ihrer Speere auf mich gerichtet.
Mit einer herrischen Geste brachte El’Khar die Ratsmitglieder wieder zum Schweigen.
"Wir haben lange genug unser Volk belogen, es ist Zeit für die Wahrheit."
Sprachlos und entsetzt war ich seinen Worten gefolgt. Wie konnte das sein? ich fühlte mich wie in einem schlechten Traum, aus dem ich nicht erwachen konnte.
Und obwohl ich den Worten keinen Glauben schenken wollte, ahnte ich doch längst die Wahrheit. Mit einem Mal wurde mir klar, warum nie Reisende in unsere Stadt kamen, warum es uns verboten war, bestimmte Bereiche aufzusuchen. Alles wurde mit dem Willen Whee’Aars begründet und war doch nur eine große Lüge. Ich spürte Zorn in mir.
"Ihr habt uns all die Jahre betrogen?"
Meine Stimme bebte. Nur die auf mich gerichteten Waffen hinderten mich daran, nach vorne zu springen und El’Khar zu packen. Auch die Gardisten schienen schockiert, was sie aber nicht daran hinderte, ihre Waffen noch entschlossener auf mich zu richten.
Die Räte senkten den Kopf, keiner wagte es, mir einen Blick zuzuwerfen.
"Ich kann Deinen Zorn verstehen. Wir haben Fehler gemacht. Doch alles geschah nur zum Wohle unseres Volkes."
El’Khar schien seinen Worten selbst nicht zu trauen, dennoch blickte er mich nun schweigend an.
Plötzlich kam mir ein weiterer erschreckender Gedanke. Wenn alle anderen Auserwählten vor mir nie zurückgekehrt waren, konnte das doch nur bedeuten, das sie tot waren. Erwartete mich das gleiche Schicksal? War auch ich dazu auserkoren, zu sterben?
El’Khar schien meine Gedanken zu erraten.
"Es ist ein Weg ins Ungewisse, mein junger Freund. Ich lasse dir die Wahl, ob Du ihn gehen willst."
"Ich werde gehen"
Ich wusste selber nicht, warum ich das gesagt hatte. Es konnte meinen sicheren Tod bedeuten, doch tief im Innern spürte ich, das mir gar keine andere Wahl bleiben würde, wollte ich mich nicht verantwortlich fühlen für den Tods unseres ganzen Volkes. Ich wollte, das dies Lügengerüst in sich zusammenbrach. Ich war nie mutig gewesen oder hatte davon geträumt, ein Held zu sein. Alles was ich wollte, war mein Leben in ruhigen Bahnen zu leben. Doch damit war es jetzt wohl vorbei.
"Ja, ich werde an die Oberfläche gehen und nach einem neuen Ort für uns suchen." Wie um mich selbst davon zu überzeugen, wiederholte ich meinen Entschluss. "Aber ich will, das die Wahrheit nach draussen dringt, alle sollen erfahren, wie Ihr uns getäuscht habt."
El‘Khar nickte zustimmend.
"So sei es! Deinem Wunsch wird entsprochen werden. Aber erst, nachdem wir einen neuen Lebensraum gefunden haben. Wir wollen eine Panik vermeiden, das siehst Du doch ein?"
Schweren Herzens stimmte ich zu. Vielleicht wäre es wirklich ratsam, bis zu meiner Rückkehr damit zu warten. Ein Aufstand wäre sicherlich das Letzte, was wir im Moment gebrauchen könnten.
"Dann wird der Hauptmann Dich jetzt mit seiner Garde zur Burg Airee geleiten. Dort beginnt Deine Reise ..."
Mit einem Kopfnicken wurde ich vom Rat entlassen.
"Wie konntest Du ihm nur die Wahrheit sagen?"
 Mit einem wütenden Blick wandte sich Shek’tar an El‘Khar.
"Es war der Wille Wheel’Aars, Bruder. Nur er entscheidet, was richtig ist"
Shek’tar musterte Bril’har, den Ältesten des Komitees. Irrte er sich, oder umspielte ein Lächeln das zerfurchte alte Gesicht?
"Noch nie ist ein Auserwählter einen anderen Weg gegangen als den, der ihm vorher bestimmt war. Ich kann nicht begreifen, warum wir ihn haben gehen lassen. Er kennt die Wahrheit und wird nichts unversucht lassen, uns zu stürzen".
Shek’tars Stimme überschlug sich vor Zorn.
Seit Jahrhunderten lenkte der Rat die Geschicke dieser künstlich erschaffenen Welt, und er konnte nicht verhehlen, das ihm diese Machtposition gefiel. Nun würde das alles enden, nur weil El’Khar versagt hatte.
"Keine Angst, mein Freund. Thon’Dir wird schweigen. Sobald er zurückkehrt, so er denn zurückkehrt, wird er sterben. Der Hauptmann hat seine Befehle."

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