Unter Wölfen

von Bernd Frenz alias Brian Frost

 

Der ferne Schrei des Wolfes riß Sven aus seinem mattem Dämmerschlaf. Ein kurzes Blinzeln aus dem Fenster belegte ihm, daß es draußen dunkel geworden war und der Mond sich anschickte, sein volles Antlitz zu zeigen. Erschrocken fuhr der junge Mann in der Wanne auf. Verdammt..., unter dem Einfluß der Badekräuter hatte er gar nicht gemerkt, wie rasch die Zeit verging.

Erneut drang das Heulen des Wolfes an sein Ohr, Sekunden später fiel ein zweites Tier in den animalischen Gesang mit ein. Obwohl das Wasser noch angenehm temperiert war, zog ein kalter Frostschauer durch Svens Knochen. Es war unmöglich zu lokalisieren, von woher dieses ferne Konzert zu ihm drang, trotzdem wußte er, daß es seinen Ursprung auf dem alten Friedhof nördlich der Gemeinde hatte. Dies war stets ihr bevorzugter Sammelplatz gewesen, wenn sie sich zur nächtlichen Menschenjagd trafen, ...und heute Nacht waren sie zusammen gekommen, um ihn zu töten. Sven richtete sich auf, ohne den Wannenrand zu berühren und blieb einen Augenblick stehen, um das überflüssige Gemisch an Kräuteressenzen von seinem Körper abtropfen zu lassen. Er durfte sich jetzt nicht hastig oder ungeschickt bewegen, sonst bestand die Gefahr, daß er den bisher so erfolgreichen Reinigungsprozeß schädigte.

Er hatte in den vergangenen fünf Tagen gefastet und nur abgekochtes Wasser zu sich genommen. In dieser Zeit hatte er weder gesprochen noch den Klang einer menschlichen Stimme gehört. Welche wohl auch? Keine Anrufe, kein Radio, kein Fernsehen, überhaupt keine elektronischen Geräte, deren Stromfluß nur seine Aura beeinträchtigt hätte. Fünf Tage voller Konzentrations- und Körperübungen, nur unterbrochen von regelmäßigen Besuchen in der selbstgebauten Sauna, in der er die letzten, in seinem Körper verbliebenen Zivilisationsgifte, herausschwitzte. Zum Abschluß dieser Zeit der Askese hatte er ein Bad in einer wohldosierten Kräutermischung genommen, deren Wirkstoffe in abgemildeter Form der Flugsalbe glichen und ebenfalls über die Haut eindrangen. Diese Substanzen lösten eine stoffwechselbedingte Beruhigung des gesamten Nervensystem aus und hatten gleichzeitig eine leicht berauschende Wirkung, die ihn in einen optimalen Zustand für die bevorstehenden Beschwörungen versetzte. Vorsichtig verließ er die Wanne und trat auf ein bereitgelegtes, sterilisiertes Laken, das einen Kontakt seiner Fußsohlen mit den Badezimmerfliesen verhinderte. Er hatte eine ganze Reihe solcher Tücher aneinander gelegt, so daß er, wie auf einem roten Teppich, aus dem Waschraum heraus auf den Flur treten konnte, ohne an Reinheit einzubüßen. Das ganze Haus lag im Dunkeln, nur einige vorsorglich angezündete Kerzen wiesen ihm den Weg zu der am Ende des Ganges liegenden Kammer. Zügig, aber ohne übertriebene Hast, schritt er über die jungfräulichen Laken. Sein nackter Körper wirkte im flackernden Schein der Kerzen so bleich, wie der eines Toten. Sven versuchte seinen Geist so weit wie möglich von störenden Einflüssen zu leeren, doch als er erneut das fernem Heulen der Wölfe vernahm, diesmal waren es bereits drei, konnte er nicht verhindern, daß sich unter seinen Achseln zwei kalte Schweißnester bildeten, die seiner inneren Unruhe körperlichen Ausdruck gaben. Endlich hatte er die geheime Wandtür erreicht, die sonst die dahinter liegende Dachkammer vor neugierigen Blicken eventueller Besucher verbarg. Wie vor jeder Zeremonie, so war auch diesmal die Tür vorsorglich geöffnet, so daß er problemlos eintreten konnte, ohne irgend etwas berühren zu müssen. Sven atmete tief durch und ein angenehmes Gefühl von Magie und Macht durchströmte seinen Körper. Der Raum war etwas ganz besonderes. Als er zwei Jahre zuvor dieses Haus bezog, hatte es ihn drei volle Monate penibelster Reinigungsarbeit und anschließender komplizierter Rituale gekostet, um aus der alten Kammer einen passablen Beschwörungsraum zu machen. Seit jener Zeit, hatte er dieses verborgene Zimmer nur ein bis zweimal im Monat in einem Zustand höchster Reinheit betreten, um einige Experimente für seine Forschungen auf dem Gebiet der Metaphysik zu machen. Jedes dieser Rituale hatte die Aura des Raumes gestärkt, so das er sich wie an einem heiligen Ort vorkam, der einen unsichtbaren Schutzwall zwischen ihm und der drohenden Gefahr von außen bildete. Doch jenes dreifaltige Unheil, welches durch die vollmondbeschienene Nacht auf ihn zu hetzte, um in großen Sprüngen den Abstand zwischen ihnen zu verkleinern, war ungeheuer stark ...und unbekannt.

Alles was er über jene Wesen wußte, besaß er aus alten, handgeschriebenen Werken, deren Inhalt sich nicht immer als verläßlich erwies. Wie um seine ängstlichen Gedanken zu bestärken, erklang erneut ein vielstimmiges Geheul, welches ihm, obwohl er es nur gedämpft vernahm, bereits bedrohlich nah erschien. Sven schüttelte ärgerlich den Kopf, um die giftigen Keime der Furcht aus seinem Geist zu vertreiben. Vorsichtig nahm er die bekannte Umgebung in sich auf, damit seine Selbstsicherheit gestärkt wurde. In der Mitte des schwarz gestrichenen, lichtschluckenden Raumes befand sich ein auf den Boden gemaltes, aufsteigendes Pentagramm, dessen Spitze exakt nach Norden ausgerichtet war. An den fünf Ecken der sauber gezeichneten Figur hatte er jeweils ein schwarze Kerze postiert, deren Flammen die blutroten Kreidestriche wie tiefe Schnitte im Fußboden glänzen ließen. An der Stirn des Pentagrammes stand ein kleiner, rußgeschwärzter Eichenaltar, auf dem Sven sein Werkzeug bereitgelegt hatte: Das Athamen, den schwarzen Dolch, sowie einen leeren Silberkelch und ein Rauchgefäß aus feuerfester Keramik, in dem eine Mischung aus Duftölen und Weihrauch verbrannte.  Der junge Mann trat ein paar Schritte vor und kniete sich vorsichtig in die Mitte des Druidenfußes, mit dem Gesicht nach Norden. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er eine bequeme Position für seine nackten Backen gefunden hatte, die er, wenn alles gut ging, für den Rest der Nacht auf seinen Fersen ruhen lassen würde. Dann griff er mit seiner Rechten nach dem Athamen vor sich, suchte kurz die frische Wunde auf seinem linken Handgelenk, und öffnete sie mit einem sicheren Schnitt. Rasch fing er das herausströmende Blut mit dem Silberkelch auf. Bedingt durch die Wirkstoffe des zuvor genommenen Bades, schloß sich die Wunde bereits nach wenigen Sekunden, doch die im Kelch befindliche Blutmenge reichte für sein Vorhaben aus. Sven tauchte die Spitze des Dolches, dessen Heft mit zwei gegeneinander gestellten Halbmonden verziert war, in den Kelch und begann einen Kreis um sich, den Altar und das Pentagramm zu ziehen. Als er damit fertig war, legte er Dolch und Kelch wieder zurück an ihren Platz und nahm das Rauchgefäß in beide Hände, um damit die Blutspur um ihn herum noch einmal in der Luft nachzuziehen. Danach stellte er das Gefäß ebenfalls wieder an seinem Platz zurück, legte seine leicht zitternden Hände auf die Knie und schloß die Augen. Eigentlich sollten diese einstudierten Bewegungen ihm Ruhe und Selbstsicherheit geben, trotzdem konnte er sich einer nervösen Vibration seines Brustkorbes nicht erwehren.

Sie waren irgendwo da draußen, ...und bereits sehr nah! 

Er ließ seinen Oberkörper hin und her schaukeln und begann rhythmisch zu Schnaufen, um auf diese Weise die Produktion der Endorphine, seiner körpereigenen Opiate, zu fördern, die es ihm erleichterten einen veränderten Bewußtseinszustand zu erlangen und in Trance zu fallen. Dank jahrelangem Trainings fiel sein Körper bereits nach wenigen Minuten in spastische Zuckungen und der Atem ging in ein leichtes Röcheln über. Draußen vor dem Haus erklang erneut der schauerliche Gesang der Wölfe, doch diesmal verspürte er keine Furcht. Sein Geist überwand die Grenzen seines Fleisches, schwebte einen Moment in der behaglichen Atmosphäre des Zeremonienraumes und drang dann durch die Wände des Gebäudes hinaus ins Freie. Er konnte den kranken Wahn der drei Wesen spüren, die dort draußen in der Finsternis sein Heim umkreisten. Irgend etwas schien die sonst so selbstsicheren Tiere zu irritieren, denn sie schlichen unsicher herum, ohne sich dem Haus wirklich zu nähern. Vielleicht ahnten sie die Sicherheitsvorkehrungen, die er getroffen hatte, und erkannten in ihrer Überheblichkeit nun erstmals, daß er mehr war, als nur ein neugieriger Spinner, dessen Fragen ihnen lästig geworden waren. Ohne das Sven sich dagegen wehren konnte, schlugen die Erinnerungen über ihm zusammen.

*

Als er vor zwei Jahren in diese Gemeinde in der Lüneburger Heide gezogen war, hatte er nur Ruhe und Abgeschiedenheit für seine Forschungen gesucht. Natürlich war sein Aussehen in dieser dörflichen Umgebung aufgefallen, und durch sein menschenscheues Auftreten waren bald die wildesten Spekulationen über ihn aufkommen, denn seine spärlichen Auftritte in der Öffentlichkeit beschränkten sich auf den wöchentlichen Besuch des dörflichen Lebensmittelmarktes, doch mit der Zeit legten sich die Gemüter wieder, und man ließ ihm seine Ruhe. Vor einigen Monaten war jedoch eine Veränderung in die örtliche Idylle eingebrochen. Zuerst waren auf den umliegenden, einsamen Höfen Rinder in ihren Ställen gerissen worden, wofür die Bauern anfangs wilde Hunde verantwortlich machten. Mit der Zeit wurden die Vorfälle allerdings immer mysteriöser, und bald war auch den dümmsten klar, daß der Mondzyklus eine nicht unerhebliche Rolle bei diesen blutigen Attacken spielte. Nachdem die ersten Menschenopfer zu beklagen waren, auf eine Weise zugerichtet, wie es selbst das schlimmste Tier in diesen Breitengraden nicht vermochte, griff in der  Gemeinde  die nackte Angst  um  sich, ...und die Suche nach dem Täter.

Sven hatte bereits zu Anfang einen schweren Verdacht geschöpft, denn sein Wissen im okkulten Bereich ließ ihn Indizien deuten, die seinen Mitbürgern verborgen blieben. Die Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt nährten seinen Verdacht, und die blutigen Ereignisse der folgenden Vollmondnächte bestätigten ihn: der Keim des destruktiv Bösen hatte sich in Form von Werwölfen in ihr Dorf niedergelassen. Anfangs wollte sich der junge Magier aus allem heraushalten, denn wer hätte schon seine Theorien Glauben geschenkt? Erst, als sogar ein zwölfjähriges Kind den Fängen jener Untiere zum Opfer fiel, hielt er es nicht mehr aus. Er warf seine Bedenken über Bord und wandte sich an den Leiter der zuständigen Sonderkommission in der nahen Kreisstadt. Selbstverständlich glaubte ihm niemand. Im Gegenteil, durch seine Ausführungen machte er sich in den Augen der Beamten im höchsten Maße selbst verdächtig, denn inzwischen hatte sich die Theorie eines menschlichen Triebtäters verfestigt. Als schließlich die Dorfbewohner von seinen Aussagen hörten, fiel der Verdacht der Polizei auf den fruchtbaren Boden von Vorurteil und Fremdenhaß. War Svens Kleidung und die wilde Haartracht nicht stets der Beweis seiner schwarzen Seele gewesen?

War einem wie ihm, nicht alles zuzutrauen?

In der Bevölkerung flüsterte man sich heimlich Geschichten über einen perversen Massenmörder zu, und jeder vermeintliche Augenzeuge wußte eine neue blutige Einzelheit, sowie einen weiteren absurden Verdacht zu berichten. Je mehr unaufgeklärte Morde geschahen, desto größer wurden die Vorbehalte gegen den Einsiedler, über den doch niemand so richtig etwas wußte. Schon bald erhielt der junge Mann die ersten Drohanrufe, bis er entnervt das Telefon abbestellte. In den darauffolgenden Nächten wurden ihm mehrmals die Fensterscheiben eingeworfen. Aber der zu unrecht Beschuldigte war ebenfalls nicht untätig geblieben. Er war während der ganzen Zeit seinen eigenen Spuren nachgegangen, hatte Verdächtige verfolgt und Schuldige gefunden. Die Beweisführung hätte vor Gericht sicherlich nicht bestanden, doch seine magischen Kenntnisse gaben ihm die Gewißheit, die wahren Täter entlarvt zu haben. Als er begann ihre Gewohnheiten zu studieren, wurden ihm mehrere Dinge klar. Seine Feinde waren keine gehetzten Außenseiter, wie er anfangs vermutet hatte, sondern eher Yuppies: Angehörige einer dekadenten Oberschicht, die hier auf dem Lande das verbotene Vergnügen der Menschenjagd suchten. Zum anderen mußte er schmerzlich erkennen, daß jene Personen nach Kräften die Verdachtsmomente gegen ihn schürten, um von der eigenen Schuld abzulenken. Leider waren den anderen seine Nachforschungen nicht verborgen geblieben, so daß sie nun auch gewillt waren, aktiv gegen ihn vorzugehen. Sven hatte einige Tage zuvor die unmißverständliche Warnung erhalten, aus der Gegend zu verschwinden, ..oder die Konsequenzen zu tragen. Aber er war nicht bereit, alles, was er sich hier aufgebaut hatte, so einfach aufzugeben, außerdem wäre seine Flucht einem Schuldeingeständnis gleich gekommen. Noch wußten seine Gegner nichts von seinen Möglichkeiten. Sven war entschlossen diesen Vorteil zu nutzen, als er sich auf den Kampf vorbereitete.

 

*

 

Die Wölfe strichen weiterhin unruhig um das Haus herum und zogen dabei immer engere Kreise. Von Zeit zu Zeit ließen sie dabei ihren schauerlichen Nachtgesang erschallen, eine wilde, unbeherrschte Kakophonie, ein dreistimmiger Chor aus kratzigen Wolfskehlen. Schließlich verlor das Weibchen die Geduld, sprang plötzlich nach vorn und hetzte Richtung Haus los. Kurz vor der Außenwand sprang es mit beiden Hinterpfoten kräftig ab und raste auf ein geschlossene Fenster zu, um dieses, wie bei so vielen Gelegenheiten zuvor, mit der Masse ihres Körpers zu zertrümmern. Kurz bevor das Tier die zerbrechliche Scheibe erreichte, prallte es gegen ein unsichtbares, massives Hindernis und wurde mit großer Wucht zurückgeschleudert. Jaulend überschlug sich das Tier im Sand und sprang gereizt wieder in die Höhe. Wütend lief es erneut gegen sein Ziel an, diesmal unterstützt von den beiden Männchen, die auf zwei andere Fenster zuhielten. Alle drei wurden von der gleichen Macht erfaßt und schmerzhaft durch die Luft gewirbelt. Verwirrt und aggressiv tanzten die Wölfe umeinander herum; so etwas hatten sie offensichtlich noch nie erlebt. In ihrem Zorn gingen sich die beiden Männchen gegenseitig an die Kehle. Gurgelnde Kampfgeräusche drangen durch die nächtliche Stille, bis ihnen das Weibchen lauthals Einhalt gebot. Gemeinsam richten sie sich dann wieder gegen das Haus, ein dreifaches, tiefes Knurren aus ihren heiseren Kehlen zur Warnung dessen, was sich ihnen dort in den Weg stellte. Sven, der ihre Bemühungen mental verfolgt hatte, riskierte ein leichtes Lächeln. Er hatte sämtliche Fenster und Türen mit einer Linie getrocknetem Blutes gesichert, eine Barriere die weder von Untoten noch von Werwesen überschritten werden konnte. Die Werwölfe waren offensichtlich zum ersten Mal mit einer Macht in Berührung gekommen, die sich ihrer sonst so überlegenen Kraft erfolgreich entgegenstellte. Aufgeregt tänzelten sie hin und her, ließen ein warnendes Knurren ertönen, wagten aber keine erneute Attacke gegen das Haus. Sven verstärkte ihre Verwirrung, indem er mit seinem Geist auf sie herabstürzte, um sie herum strich, durch ihr Fell fuhr und sie neckte und foppte. Die Tiere spürten, daß dort etwas zwischen ihnen war und schnappten wild um sich. Ihr Aggressionspegel schnellte weiter nach oben, und erneut verbissen sich die beiden Männchen ineinander. Das Weibchen setzte sich dagegen ab, nahm Anlauf und hetzte erneut auf das Haus zu. Statt wieder ein Fenster anzuvisieren, sprang es diesmal viel früher ab, steckte sich nach oben, und krallte sich nach kurzem Flug mit den beiden Vorderpfoten, die eine Mischung aus behaarten Händen und Klauen bildeten, an der Regenrinne fest. Nach einem kurzen Rucken der Schulterblätter befand sich das Tier auf dem Dach. Sofort konzentrierte sich Sven auf den plötzlich so gefährlich nahe gekommenen Gegner. Er hörte wie der Wolf über die Dachpfannen glitt, kurz verharrte, und versuchte, die Witterung seines Feindes aufzunehmen. Sven fluchte innerlich. Wenn der Werwolf anfing die Pfannen vom Dach zu reißen, war es danach ein leichtes, durch die dünne Isolierung in das Haus zu dringen. Das tönerne Geräusch zersplitternder Pfannen setzte seine Befürchtungen in die Tat um. Blitzartig riß er seinen Geist zusammen, suchte nach dem Bewußtsein des Wolfes und stieß wie ein Speer in ihn hinein. Er fuhr wie ein Blitz in die Gehirnwindungen, tastete sich durch sie hindurch und suchte die Schwingungsfrequenz des fremden Wesens. Er schlich sich vorsichtig an und griff dann mental zu, um den Verstand des Tieres unter seine Kontrolle zu bringen. Er fühlte, wie das Geschöpf bei dem Kontaktschluß reflexartig den Kopf zurückwarf, doch noch ehe sich ihre Gedanken berührten, spürte Sven, daß er einen Fehler machte. Sicher, in dem Körper dieses Tieres steckte der Geist eines Menschen, dessen Jagd- und Mordinstinkte mit logischem Denken gepaart waren, trotzdem überwog bei dieser Symbiose der animalische Teil, ...irgend etwas ging schief ! 

Die Verschmelzung ihrer Gedanken war schmerzhaft, Sven fühlte, wie eine brennende Woge des Ekels durch seinen Körper fuhr. Es war, als würde irgend jemand mit unreinen Fingern nach seinem Verstand greifen und tief in seinem Innersten wühlen, um es nach außen zu kehren. Die animalische Gedankenwelt seines Gegners riß ihn in einen Strudel kranker Emotionen, die sein Bewußtsein zu überfluten drohten, und ihn bis an die Klippe des Wahnsinns drängten. Vergeblich versuchte er den Ansturm der fremden Eindrücke zurückzuschlagen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, die Stirnhaut spannte sich und drohte zu reißen. Ein unkontrolliertes Zittern überfiel seinen Körper, seine Arme schlugen sinnlos durch die Luft und aus seiner verkrampften Brust entrang sich ein gepeinigter Schrei, der nur als halbersticktes Gurgeln über die entstellten Lippen kam. Hatte er bereits verloren, bevor der Kampf richtig begann? Irgendwo aus unendlich weiter Ferne vernahm sein Ohr die Geräusche des Wolfes über sich, dessen Pfoten gehetzt über die Pfannen kratzten. Seinem Feind bereitete der Kontakt ebenfalls Schwierigkeiten. Röchelnd preßte Sven Luft in seine zusammengefallenen Lungen, pumpte die letzten Energiereserven durch den Körper und verstärkte so die Kräfte des im Todeskampf befindlichen Geistes. Im letzten Winkel seines verbliebenen Verstandes bildete sich ein Widerstandsnest, wuchs heran, und wurde rasend schnell größer; bis er den Schmerz wie einen Schleier von sich riß und auf den Gegner zurück schleuderte. Wie ein Stromstoß jagte der Impuls über ihre Gedankenverbindung und traf das fremde Bewußtsein in seinem Empfindungszentrum. Das Tier über ihm sprang gepeinigt in die Höhe, verlor seinen Halt auf den glatten Pfannen und rutschte über das schräge Dach nach unten. Fieberhaft versuchte Sven die Verbindung zu lösen. Er riß und zerrte verzweifelt an seinen Gedanken, doch es war sinnlos. Der Wolf raste über die Regenrinne hinaus, und prallte, ehe er sich so drehen konnte, daß er mit den Pfoten aufkam, mit großer Wucht auf seinen Rücken, wobei drei seiner Rippen brachen. Sven spürte den brutalen Schmerz, als wären seine eigenen Knochen zersplittert. Weinend stöhnte er auf, dann gelang es ihm endlich den Kontakt abzubrechen. Draußen umringen die beiden Männchen ihre verletzte Gefährtin, wütend knurrten sie das Haus an. Sven preßte die Handballen gegen seine hämmernden Schläfen, sammelte die Schmerzen, die das Nervensystem durch seinen Körper sandte und schleuderte sie auf der Wellenlänge der Wölfe in die Tiefe hinab. Die Attacke dauerte nur wenige Sekunden, doch sie wirkte wie eine glühende Nadel, die man in ein Gehirn trieb. Fauchend wirbelten die Tiere herum, doch es war kein Feind zu sehen, dem sie den Angriff zu verdanken hatten. Sie schickten eine grollende Warnung in die sie umgebende Finsternis, doch zum ersten Mal seit Beginn ihrer Existenz war ein Unterton von Angst und Verwirrung zu vernehmen. Sie hatten es hier mit etwas zu tun, daß ihnen unbekannt war. Instinktiv nahmen die beiden gesunden Tiere daß verletzte Weibchen in die Mitte, dann flüchteten sie durch die Nacht davon, jaulend das Versprechen ihrer Wiederkehr zurücklassend. Zitternd fiel der Magier in seinem Bannkreis zusammen, erschöpft stützte er sich mit den Händen ab. Sein ganzer Körper war mit einer zähflüssigen Schweißschicht bedeckt, die seine Haut am atmen hinderte. Zwischen seinen Knien hatte sich eine Urinlache gebildet, denn während des Kampfes hatte er die Kontrolle über seine Schließmuskeln verloren. Er hoffte, daß er die Wölfe für diese Nacht vertrieben hatte, doch vorsichtshalber wollte er bis zum Morgengrauen in dem Schutzkreis verbleiben. Eines war klar, diese Wesen besaßen mehr natürliche Magie, als sich manch anderer während eines Menschenlebens durch Übung und geheime Lehren aneignen konnte. Auf diese Weise würde er sie nicht bekämpfen können, doch er hatte weitere Pläne, und wenn in dieser Nacht alles geklappt hatte, war der Keim für ihren Untergang bereits gelegt.

Vielleicht aber auch für seinen.

Den Rest der Nacht verbrachte er in einem Zustand wachsamer Dämmerung, bis er im Morgengrauen den Schutz des Pentagrammes verließ, um eine Dusche zu nehmen, die ihm von dem sauren Belag auf seiner Haut befreite. Als er sich danach in einen schwarzen Morgenmantel gehüllt, in seinem Wohnzimmer zufrieden niederließ, fühlte er sich von den Anstrengungen des nächtlichen Kampfes leicht ermattet, aber keineswegs müde. Er würde auch bis zu dem Ende dieser Auseinandersetzung keinen Schlaf mehr brauchen. Nachdem er einen leichten Kräutertee zu sich genommen hatte, holte er das Gewehr aus dem Versteck hinter der doppelten Wand hervor.

Bei der Auswahl der Waffe hatte Sven zuerst an ein Präzisionsjagdgewehr mit Zielfernrohr gedacht, doch abgesehen davon, daß er die Schwarzmarktpreise hierfür nicht aufbringen konnte, war ihm schnell klar geworden, daß er bei seinen mangelnden Kenntnissen als Scharfschütze einen Kampf auf halbnahe Distanz führen mußte. Dafür benötigte er ein militärisches Sturmgewehr, mit dem er notfalls auch blinde Feuerstöße abgeben konnte.

Vorsichtig ließ er seine Finger über das kalte, vom Waffenöl etwas klebrige Metall gleiten. Diese Waffe zu beschaffen war noch relativ einfach gewesen. Bei der Munition war es schon schwieriger, und vor allem kostenaufwendiger geworden, doch dank seiner Hamburger Kontakte war ihm auch dies gelungen. Sven griff nach einem leeren Magazin und der Patronenschachtel. Er hatte die handelsüblichen 7,6mm Geschosse von einem Spezialisten aufbohren und mit einer Silberlegierung füllen lassen. Danach war die Kugel mit einer flachen Kante wieder verschlossen worden, so daß sie nun wie ein Dum-Dum-Geschoß wirkte. Eine aus gutem Grund völkerrechtlich verbotene Manipulation, die zu verheerenden Verletzungen beim Aufprall führte. Doch für entsprechend hohe Beträge stellten Waffenhändler keine dummen Fragen.

Erneut drängten sich Selbstzweifel in seinen Geist, war es wirklich richtig, was er hier machte?? 

Ärgerlich schüttelte er seinen Kopf, um die nagenden Gedanken zu vertreiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gar keine andere Wahl mehr. Wenn es ihm nicht gelang, sie  auf diese  manuelle  Art und  Weise zu stoppen, würden sie kommende Nacht gemeinsam auf das Dach springen, ...und dann hatte er keine Möglichkeit mehr, sie am Eindringen in sein Haus zu hindern. Sorgfältig begann er die Magazine aufzumunitionieren, danach konnte er nur noch auf die Dunkelheit warten.

 

*

 

Als der Horizont den letzten Rest des Tageslichts verschlang, stieß die Finsternis wie eine angriffslustige Schlange in den frei gewordenen Raum, um ihr schwarzes Gift zu verbreiten. Unheilvoll blickte die rot schimmernde Silhouette des Mondes auf den verlassenen Friedhof vor den Grenzen der Gemeinde, den Sven als Treffpunkt der drei Dämonen ausgemacht  hatte. Er spürte die aufkeimende Angst, die sich wie eine Stahlkammer um sein Herz preßte, deshalb holte er einige Male tief Luft, um das Zittern, das durch seinen Körper lief, zu unterdrücken. Dann nahm er seine schweißnassen Hände von dem Gewehr, um sie an seiner dunklen Hose abzuwischen. Beruhigend flüsterte er sich selbst zu, um sich Mut zu machen. Er wußte, daß sie heute erneut kommen und vorher wieder hier treffen würden, so, wie sie es bisher vor jedem Raubzug gemacht hatten, ...doch diesmal würde er auf sie warten. Ihm war klar, daß der Busch, in dem er hockte, ihn kaum tarnte, denn diese Wesen vermochten des Nachts so gut zu sehen, wie er am Tage. Sven hingegen war fast blind, denn in dieser Umgebung konnte er seine geistigen Fähigkeiten nur sehr begrenzt einsetzen. Normalerweise war es heller Wahnsinn, sich so nah an diese Kreaturen heranzuwagen, denn ihr Geruchssinn übertraf ihre Sehfähigkeiten noch bei weitem, doch für diesen Fall war vorgesorgt. Sven hatte in der Nacht zuvor stark riechende Kräuter um sein Haus gestreut, die den Spürsinn von Tieren auf Wochen lahmlegten. Außerdem hatte er sich kurz zuvor mit einem Sekret eingerieben, das seine Witterung für die nächsten Stunden kaschierte. Diese Maßnahmen mochten ihm bei seinem gefährlichen Vorhaben von Nutzen sein, oder aber auch versagen, eine Gewißheit gab es erst nach einem praktischen Versuch. Bei dem Gedanken daran, brach ihm erneut der Angstschweiß aus. Sven hatte schon manches geistige Duell ausgefochten, doch körperliche Konfrontationen waren ihm fremd.

Er war ein Magier, kein Soldat! 

Immer wieder wischte er nervös seine Hände an der Hose ab. Er war es einfach nicht gewohnt, nachts in der Nähe eines Friedhofshügel, mit einer unregistrierten Waffe in einem kahlen Holunderbusch zu hocken, um auf eine bewaffnete Auseinandersetzung zu warten. Doch er mußte es tun. Nur wenn er die wahren Täter zur Strecke brachte, konnte er sich selbst schützen und gleichzeitig ihre Schuld beweisen. Plötzlich verstummten die Geräusche der Nacht und eine unnatürliche Stille breitete sich aus. Kein Vogel war zu hören, keine Grille gab einen Ton von sich, selbst die Bäume wagten nicht sich zu bewegen.

Dies konnte nur einen Grund haben, SIE WAREN BEREITS DA!!!

Der von Unkraut und Brennesseln überwucherte Friedhof lag wie ein alter Scherenschnitt vor ihm, Grabsteine und alte Bäume rissen scharfe Schatten in den kranken Schein des Mondes. Kalter, schneidender Wind wehte von Osten heran, strich über abgeerntete Felder und die schwarzen Furchen der Äcker. Auf einem nahen Bauernhof begann plötzlich ein Hund zu kläffen, als spürte er die Gefahr, die hier in der Dunkelheit lauerte. Plötzlich schob sich der große, schwarze Körper eines Wolfes aus dem Schatten der Bäume ins Mondlicht hinaus. Auf den Hinterbeinen stehend hatte das Tier einen fast humanoiden, sehr breitschultrigen Körperbau, die muskulösen Oberarme endeten in einer Mischung aus krallenbewehrten Pfoten und menschlichen Händen. Der schwere Schädel mit der spitzen Schnauze drehte sich und witterte nach allen Seiten, wobei die Augen dämonisch rot leuchteten. Die Ohren waren aufgestellt und zitterten leicht. Seine lange, schmale Zunge hing zwischen den Fangzähnen heraus, und aus dem Rachen wehte bei jedem Atemzug eine fahlweiße Wolke, die nach Raubtier, Aas und Tod roch.  Sven würgte den dicken Kloß in seinem Hals herunter, jetzt würde sich zeigen, ob seine Vorsichtsmaßnahmen fruchteten. Er legte den Sicherungshebel seiner Waffe herum und versuchte das schwarze Tintenfaß vor sich mit scharfem Blick zu durchdringen. Endlich erkannte er ein zweites  Augenpaar, das weiter rechts in der Finsternis glühte, und sich lautlos in einem leichten Halbkreis auf ihn zu bewegte. Sven spürte, wie ihm der kalte Angstschweiß über den Rücken rann, um sich an seinem Hosenbund als klebriger Bach zu sammeln.

Verdammt, das waren bisher erst zwei, wo war der dritte geblieben?

Ohne die beiden erfaßten Gegner aus den Augenwinkeln zu lassen, lauschte er konzentriert in die Stille hinein, um vielleicht irgendwo die Bewegungen des fehlenden Kontrahenten zu erhaschen. Hinter ihm schien es verdächtig zu knacken, worauf tief in seinem Inneren Panik aufkeimte, die sich nur mühsam unterdrücken ließ. Vorsichtig drehte er sich in der Hocke, um die bisher ungedeckte Seite abzusichern, ...und sah direkt in die rot schimmernden Mörderaugen der gesuchten Kreatur. Noch ehe er sich fluchend eingestehen konnte, das er die Wahrnehmungsfähigkeiten der Werwölfe unterschätzt hatte, schlug ihm bereits ein angriffslustiges Knurren ins Gesicht, als der Dämon krachend durch das morsche Unterholz des Busches brach. Abgerissene Äste wirbelten durch die Luft. Er ließ sich instinktiv nach hinten fallen, als der Angreifer auch schon über ihm war. Scharfe Krallen fuhren durch seine schwere Lederjacke, und zerrissen mit hartem Krachen den darunter liegenden Pullover. Sven prügelte den Schaft des Gewehres in den Leib der Bestie und schleuderte sie mit ihrem eigenen Schwung über sich hinweg. Der Wolf landete sicher auf seinen Pfoten, machte auf den Hinterläufen kehrt und richtete sich auf. Schaudernd erkannte Sven die volle Größe seines Gegners, der aufrecht stehend über zwei Meter maß. Hastig wälzte er sich herum und sprang in die Höhe, als der Wolf bereits erneut auf ihn zuflog. Der Magier fing den Körper seines Angreifers mit dem Lauf der Waffe auf und riß den Abzug durch. Laut krachend verließ das ummantelte Silbergeschoß die Mündung des Gewehrlaufes und durchschlug den ungeschützten Körper des Werwolfes, von der dritten Rippe an aufwärts, bis es an der rechten Schulter einen tellergroßen Austrittstrichter riß. Eine Fontäne aus Blut, Fleisch und Knochensplittern spritzte durch die Nacht. Knirschend riß der Oberarm aus dem zerfetzten Schultergelenk und flog einsam in die Finsternis, bevor der verstümmelte Werwolf in die Knie brach und winselnd zu Boden sank. Sven wandte dem verendenden Tier keinen weiteren Blick zu, denn die Luft war von dem durchdringenden Wutgeheul der beiden verbliebenen Tiere erfüllt. Wie zwei schwarze Blitze jagten sie den Hügel herab auf ihn zu. Der junge Magier wollte ihnen entgegen eilen, um eine bessere Schußposition zu erhalten, doch als er sein Versteck verließ, stolperte er über eine im hohen Gras liegende Friedhofsharke und schlug der Länge nach hin. Fluchend rappelte sich der unglücklich Gestürzte wieder auf, als bereits die erste, mit scharfen Tierzähnen bestückte Schnauze vor seinem Gesicht erschien. Die Zähne schnappte wie weiße Blitze durch die Luft und knallten dicht neben seinem linken Ohr zusammen. Svens Wangen verbrannten unter dem heißen Atem, aus dem Rachen der Bestie. Das Gewehr anheben und abdrücken war eine Bewegung. Noch ehe die Fänge des Wolfes erneut zuschlagen konnten, fuhr bereits eine Kugel zwischen seine speicheltropfenden Lefzen, bohrte sich durch seinen Rachen und wirbelte die dahinter liegenden Gehirnmassen durcheinander, bis die Schädeldecke zersprang und der grauen Masse den Weg in die kalte Nacht öffnete. Das Tier wurde von dem Einschlag der Kugel in die Höhe geschleudert, wo es sich in der Luft einmal überschlug und dann mit halb weggeschossenem Kopf wieder auf die Erde prallte. Bevor Sven weiter reagieren konnte, hatte ihn der dritte Dämon bereits angesprungen und rückwärts zu Boden geschleudert. Dabei spürte er entsetzt, wie sich etwas mit stechendem Schmerz in seine Rippen fraß. 

Ein Biß schoß es ihm durch den Kopf, während sich seine Augen vor Verzweiflung mit Tränen füllten. Das Gewicht des Werwolfes lastete schwer auf seinem Körper, doch die Wut der Niederlage gab ihm übermenschliche Kraft. Mit einem Aufschrei des nahen Wahnsinns, drückte er den Gewehrkolben unter die mahlenden Kiefer des Untieres und schleuderte es von sich. Der Wolf landete mit dumpfen Knall auf dem Rücken, wälzte sich herum und stellte sich erneut zum Angriff. Sven reagierte mit einem Deutschuß aus liegender Position. Ein Feuerstoß donnerte durch die Nacht, vier der abgefeuerten Geschosse irrten blind davon, doch das fünfte fand sein Ziel und zerfetzte den Brustkorb des Dämonen. Die Kraft des Einschlages riß das aufrecht stehende Tier von den Hinterbeinen, beim Aufprall ergossen sich die zerrissenen Innereien aus dem offenen Rücken, auf den Boden. Würgend verging das Wesen wie seine beiden Artgenossen an der Silbervergiftung. Als sich Sven mühsam aufrichtete, setzte bereits der Transformationsprozeß der Dämonen ein.

Die drei Gesichter, die nach der Umwandlung zu sehen waren, gehörten genau jenen Personen, die er in Verdacht gehabt hatte.

Ein Triumph auf der ganzen Linie, ...oder doch nicht ?

Sven griff zu der schmerzenden Stelle an seinem Rücken, die sich feuchtwarm anfühlte. Als er die Hand vor sein Gesicht hielt, konnte er im schwachen Mondschein erkennen, wie eine dunkelrotes Flüssigkeit von seinen Händen rann und in die Tiefe tropfte. Zitternd zog er seinen Pullover aus der Hose, und betrachtete, nachdem er das Blut der Wunde grob zur Seite gewischt hatte, die Reihe großer Einstiche, die seine Haut perforierten.  Alles in diesem Leben mußt bezahlt werden, das wußte er als Magier am besten, doch dieser Sieg war teuer erkauft!!

Er hatte das Übel gewaltsam ausgerottet, aber nun trug er selbst den Keim des Bösen in sich, denn wer den Biß eines Werwolfes überlebte, wurde selbst zum Geschöpf der Nacht. Sven war von eisiger Kälte und im nächsten Moment von glühender Hitze erfüllt. Das tobende Herz hämmerte wie ein marodierender Gefangener gegen seine Brust, und drohte die Rippen zu sprengen. Sein sonst so analytischer Geist, raste im Kreis umher, war zu keiner logischen Schlußfolgerung mehr fähig, sondern nur noch von einem Gedanken besessen: UMSONST!!! 

Sein ganzer Einsatz für die Menschen dieser Gemeinde war umsonst gewesen, im Gegenteil, er war nun sogar das geworden, wofür ihn sowieso schon alle hielten, ....ein unberechenbares Untier. Sven hätte schreien können, denn die Ironie seines Schicksals zerriß ihm die Seele, doch nur ein Würgen verließ seine Kehle. Müde humpelte er zu einem abgestorbenen Eichenbaum und lehnte sich an dessen vertrocknete Rinde. Er führte die Mündung der Waffe unter die weiche Stelle seines Kinns und suchte den Abzugshahn des Gewehres.

Er würde der Ungerechtigkeit dieser Welt keinen weiteren Triumph gönnen.

 

*

 

Hauptkommissar Hensch führte die Sonderkommisson für Gewalt gegen Menschen bereits seit sieben Jahren, aber so etwas hatte er in seiner ganzen Laufbahn noch nicht gesehen. Kopfschüttelnd stieg er über eine der abgedeckten Leichen und blieb neben einer alten Eiche stehen, vor der ein im Dienst ergrauter Gerichtsmediziner hockte, der offensichtlich eine Wunde des Täters mit irgendeinem länglichen Gegenstand verglich. Eigentlich war es sinnlos etwas zu sagen, doch die Wut im Bauch des Polizisten drängte nach draußen.

“Die verstümmelten Toten der letzten Monate reichten ihm also nicht”, stieß er abgehackt hervor. “Mit seinen bescheuerten Werwolfgeschichten konnte er auch nicht genug Aufmerksamkeit auf sich lenken. Nein, er mußte, bevor er sich selbst den Kopf wegbläst, unbedingt noch drei nackte, wehrlose Menschen auf den Friedhof zerren, um sie dort auf diese widerliche Art und Weise abzuschlachten.”

Der am Boden kniende Arzt richtete sich ein wenig auf und entgegnete routiniert: “Nun ganz wehrlos sind sie wohl doch nicht gewesen, immerhin ist es einem von ihnen gelungen, ihm dieses Ding in die Rippen zu rammen.”

Dabei hielt der Mediziner die Friedhofsharke in die Höhe, von deren verbogenen Zinken dunkles Blut tropfte.

 

 

Ende

 

© 1994 Bernd Frenz

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