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Der Sternenreisende
Kapitel 1
Der Auserwählte
Die Sterne leuchteten und funkelten am dunklen Himmel. Es war eine klare, wenn auch kalte Nacht. Ein kalter Wind zog durch das Gemäuer. Ich sah hinauf. Was würde ich dafür geben, einmal dort oben zu sein. Einmal die unendliche Weite des Universums sehen, grenzenlose Weite spüren. Es war eisig hier oben. Ich fror. Doch trotz der Kälte, die langsam durch meinen Körper kroch, konnte ich den Blick nicht abwenden. Und mit jeder Minute wurde meine Sehnsucht größer. Ich war nie ein Mensch gewesen, der zu Träumereien neigte. Ich selbst sah mich als Realist. Und doch hatten mich die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen verändert. Ich sah jetzt, wie kostbar ein Menschenleben war, nahm plötzlich Dinge war, die ich in meinem bisherigen Leben nie gesehen hatte. Und diese Sehnsucht ... Ich hatte nur noch wenige Tage und die wollte ich allein mit meinen Träumen verbringen. Schon bald würde ich die schwarze Kammer des Vergessen betreten und Abschied nehmen müssen. Ich hatte keine Ahnung, was mich genau erwarten würde. Berichte über diesen letzten Weg gab es nicht, da nie jemand zurückgekehrt war, um über seine Erlebnisse zu berichten. Whee‘ Aar, das Zentralorgan unserer Gemeinschaft, achtete darauf, das auch Diskussionen darüber unterblieben. Es war verboten, über die Vorgänge der Dunklen Kammer nachzudenken. Und das wenige, was ich wusste, in den vergangenen Tagen erfahren hatte, war ebenfalls nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben. Jedes Jahr wurde ein Mann aus unserer Gemeinschaft vom Allmächtigen "ausgewählt". Immer waren es junge, kräftige Burschen, die in einer feierlichen Zeremonie an den Fuß des Berges Airee geführt wurden. Hier begann der beschwerliche Aufstieg zur Burg Kandor. Diesen Weg musste der Kandidat alleine gehen. Was ihn dort oben in den dunklen Hallen erwartete, wusste niemand ... und es wollte wohl auch keiner wissen. Trotz des Verbotes hatte ich versucht, Näheres zu erfahren. Ich sprach mit Familien, deren Söhne in den vergangenen Jahren den Weg der Wege gegangen waren. Doch das Ergebnis war niederschmetternd. Niemand und Nichts war bereit oder in der Lage, mir weiterzuhelfen. Obwohl ich eigentlich glücklich sein sollte über meine Wahl, spürte ich eine unerklärliche Angst. Diese Angst saß so tief, das ich sogar an Flucht dachte. Aber wohin sollte ich mich wenden? Noch nie hatte jemand unsere Welt verlassen, die sich bis in den Horizont erstreckte. In den alten Geschichten unserer Ahnen hieß es, das Jeder, der die schützenden Mauern unserer Stadt verlassen würde, in der Wildnis dort draussen sein Leben verlieren würde. Dennoch war ich bereit, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Alles schien besser, als wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt zu werden. Doch bevor ich mein Vorhaben auch nur ansatzweise ausführen konnte, holte mich die Garde des Heiligen Rates. Ich hatte mich gerade zur Ruhe begeben, als meine Eingangstür unter heftigen Schlägen erzitterte. Bevor ich noch reagieren konnte, sprang sie auf und sieben Gardisten stürmten in mein Schlafgemach. Stumm richteten sie ihre Strahlwaffen auf mich. Nach einer, wie es mir schien, unendlichen Zeit trat ein Soldat vor. "Auserwählter Thon’Dir. Auf Geheiß des Heiligen Rates unserer Gemeinschaft habe ich den Auftrag, Dich vor das Komitee zu führen." Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Was war geschehen? Waren meine Fragen, mein Zweifeln aufgefallen, hatte mich jemand verraten? Bevor ich auch nur einen Satz sagen konnte, hatten zwei Gardisten mich bereits an den Armen gepackt und aus dem Bett gezogen.Eine Stunde später, immerhin hatte man mir noch zugebilligt, mich anzukleiden, stand ich vor den Mitgliedern des Heiligen Rates. Sieben Männer saßen auf einer Empore und blickten auf mich herab. Sie galten als die Verkünder Whee’Aars. Niemand aus unserem Volk hatte sie je gesehen. Ihre Weisungen und Gesetze wurden durch die Garde verkündet. Umso erstaunter war ich, dass es sich bei Ihnen um ganz normale Wesen zu handeln schien. Sie alle machten einen sehr alten Eindruck. Ihre Gesichter waren im Halbdunkel verborgen. Gewandet waren sie in schwarze Kutten, wie sie unsere Priester auch trugen. Und trotz all der Macht, die von diesen sieben Gestalten auszuströmen schien, hatten sie nichts Göttliches an sich. Im Gegenteil: Als einer der Herren anhub zu sprechen, klang seine Stimme müde und schwer. Dennoch hütete ich mich, meine Überraschung zu zeigen. "Thon’Dir, Du bist ein Auserwählter, doch trotz dieser Ehre lehnst Du Dich auf, stellst Fragen und zweifelst." Kalt und abweisend waren ihre Mienen auf mich gerichtet."Ich ..." Meine Stimme versagte. "Es ist der Entschluss des großen Whee‘ Aar und es steht Dir nicht zu, Fragen zu stellen oder zu zweifeln". Wieder diese kalte Blick, und doch glaubte ich, Verzweiflung aus der Stimme heraus zu hören. "Ja, ich bin der Auserwählte", hörte ich mich sagen. " Und aus diesem Grund verlange ich Antworten". Ich konnte gar nicht glauben, was ich da von mir gab. Noch nie hatte es jemand gewagt, sich gegen den Rat aufzulehnen. Mir war der Tod gewiss, Auserwählter hin oder her. Dennoch brach in diesem Moment alles aus mir heraus, was sich bislang an Angst und Ungewissheit in mir aufgestaut hatte. "Schweig still, Du Narr". Der Hauptmann der Truppe schlug mir den Knauf seiner Waffe ins Kreuz. Aufstöhnend ging ich zu Boden. Ja, ich war ein Narr, das wurde mir in diesem Moment klar. Nichts und Niemand hätte mich jetzt noch retten können. Jeglicher Mut verließ mich augenblicklich. "Du sollst Deine Antworten bekommen." Ein Raunen ging durch den Saal. Überrascht hob ich den Kopf und blickte in das Gesicht eines anderen Ratsmitgliedes. "El Khar, Du wirst ...." die anderen Räte waren aufgesprungen. Mit einer herrischen Geste brachte El Khar die anderen zum Schweigen. "Ja, er soll seine Antworten bekommen. Schon zu lange haben wir geschwiegen. Jahr um Jahr entsenden wir Auserwählte. Nie kehrte jemand zurück. Ihr wisst genau wie ich, das Thon’Dir unsere letzte Chance ist. Für mehr reicht unsere Kraft nicht"... Schweigen breitete sich aus. Atemlos war ich dem Ganzen gefolgt. Was ging hier vor? Die anderen Räte setzten sich langsam wieder und blickten sich an.
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